Mechanik des starren Körpers

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Mechanik des starren Körpers

Bisher betrachtet: System von Massepunkten

Jetzt: Ausgedehnte, starre Körper

Erhalten bleibt der fixe Abstand zwischen den Punkten des Körpers ( starr) im Gegensatz dazu steht die Mechanik der deformierbaren Medien, also Elastomechanik oder Hydrodynamik

Definition des starren Körpers:

  1. System von n Massepunkten mit festen Abständen ( Zwangsbedingungen)
  2. Vorgegebene , kontinuierliche Masseverteilung

ρ(r¯)


Gesamtmasse: M=d3rρ(r¯)


Beschreibung

  1. Beschreibung im raumfesten Koordinatensystem (x,y,z) als Inertialsystem.
  2. Beschreibung im körperfesten (intrinsischen) Koordinatensystem

K¯ . Dieses ist fest mit dem Körper verbunden (x1,x2,x3) und ist im Allgemeinen kein Inertialsystem. Ursprung von K¯ ist S, beispielsweise der Schwerpunkt.

Der starre Körper hat 6 Freiheitsgrade ( 3 Komponenten Schwerpunktskoordinaten und 3 Winkel zur Orientierung von K¯ )

Kinetische Energie und Trägheitstensor

Betrachten wir eine infinitesimale Verrückung dr¯=dr¯S+dx¯=dr¯S+dϕ¯×x¯dϕ¯:=n¯dϕ


In Kapitel 3.3 haben wir bereits mit infinitesimalen Drehungen gearbeitet. Dort handelte es sich um passive Drehungen. Hier haben wir es nun mit aktiven Drehungen zu tun -> anderes Vorzeichen.


V¯:=dr¯sdt

Schwerpunktsgeschwindigkeit


ω¯:=dϕ¯dt Winkelgeschwindigkeit

Damit ergibt sich die Geschwindigkeit eines beliebigen Aufpunktes des starren Körpers:


v¯=V¯+ω¯×x¯


Nebenbemerkungen:


ω¯ hängt von der Wahl von S ab.

Falls S der Schwerpunkt ist, so gilt:


i=1nmix¯(i)=0

nach Def. A) des starren Körpers


d3xx¯ρ(x¯)=0

Definition B) -> Schwerpunktsvektor im körperfesten System 

K¯

Kinetische Energie:

12i=1nmiv¯(i)2=12i=1nmi(V¯+ω¯×x¯(i))2=12i=1nmiV2+V¯i=1nmi(ω¯×x¯(i))+12i=1nmi(ω¯×x¯(i))2


Mit den Beziehungen


i=1nmi=MV¯i=1nmi(ω¯×x¯(i))=(V¯×ω¯)i=1nmix¯(i)=0,dai=1nmix¯(i)=0(ω¯×x¯(i))2=ω2x2sin2α=ω2x2(1cos2α)=ω2x2(ω¯x¯)2=m=13n=13ωm[x2δmnxmxn]ωn Somit folgt:


T=12i=1nmiv¯(i)2=12MV2+12m=13n=13ωmJmnωn


mit dem Trägheitstensor


Jmn:=i=1nmi[x¯(i)2δmnxm(i)xn(i)]


Der Trägheitstensor ist also durch die Massenverteilung bestimmt

Im Sinne der Definition B) dagegen gilt:


T=12d3xρ(x¯)(V¯+ω¯×x¯)2=12d3xρ(x¯)V2+(V¯×ω¯)d3xρ(x¯)x¯+12m=13n=13ωmJmnωnmitd3xρ(x¯)x¯=0


und dem Trägheitstensor


Jmn=d3xρ(x¯)[x2δmnxmxn]


Also gilt die Zerlegung der kinetischen Energie:


T=12d3xρ(x¯)(V¯+ω¯×x¯)2=12d3xρ(x¯)V2+12m=13n=13ωmJmnωn


T=12MV2+12ω¯J¯¯ω¯


Dabei ist


Ttrans=12MV2 kinetische Energie der translatorischen Bewegung


Trot=12ω¯J¯¯ω¯ kinetische Energie der Rotationsbewegung

Eigenschaften des Trägheitstensors

J¯¯ ist ein Tensor zweiter Stufe. Das heißt unter Drehungen RSO(3) transformiert er sich wie folgt:

R kennzeichnet dabei die Drehmatrizen im R3 mit Orthogonalitätseigenschaft: RRT=1,detR=1


Nun , er transformiert sich unter Drehungen wie folgt:

Wenn xmxm´=n=13Rmnxn


Dann: JmnJmn´=l=13s=13RmlRnsJls


Kompakt:


x¯x¯´=Rx¯J¯¯J¯¯´=RJ¯¯RT


Dabei bemerken wir: Matrizen sind einfach Zahlenschemata mit Zeilen und Spalten. Aber erst das Transformationsverhalten definiert einen Tenor ( Im Gegensatz zu einer Matrix).

Tensor 1. Stufe: xm´=n=13Rmnxn = Vektor

Tensor 2. Stufe Jmn´=l=13s=13RmlRnsJls


Tensor n-ter STufe: Amn....x´=l,s,...,t=13RmlRns...RxtAls...t

wobei links n Indices stehen und rechts n mal die Drehmatrix angewendet wird ( und jeweils von 1-3 summiert !)

Beweis des Transformationsverhaltens für

Jmn:=i=1nmi[(txt(i)2)δmnxm(i)xn(i)]


Zunächst zum Skalarprodukt:


xm´=n=13Rmnxntxt´2=tlsRtlRtsxlxs=ls(tRltTRts)xlxs=lsδlsxlxs=lxl2


das Skalarprodukt ist also invariant

Aber auch das Delta- Element ist invariant:


lsRmlRnsδls=lRmlRnl=lRmlRlnT=δmn


Kompakt:


R1RT=RRT=1


Also:


Jmn´=l=13s=13RmlRnsJls=i=1nmil=13s=13RmlRns[(txt(i)2)δlsxl(i)xs(i)]Jmn´=i=1nmi[(txt(i)´2)δmnxm(i)´xn(i)´]


Der Trägheitstensor J´ in den neuen Koordinaten ist also gleich dem alten, was Transformationsverhalten eines Tensors zweiter Stufe belegt:

Dabei gilt:


(txt(i)´2)δmn ist der invariante Anteil


xm(i)´xn(i)´ hängt von der Wahl des körperfesten koordinatensystems ab.

Weitere Eigenschaften

Jmn enthält einen kugelsymmetrischen, also rotationsinvarianten Anteil (txt(i)2)δmn

Jmn

ist linear in der Massendichte. Der Trägheitstensor ist also additiv beim Zusammenfügen zweier starrer Körper

Jmn ist ein reeller, symmetrischer Tensor, dargestellt durch die reelle, symmetrisch Matrix


J¯¯=d3xρ(x¯)(x22+x32x1x2x1x3x1x2x32+x12x2x3x1x3x2x3x12+x22)


Der Tensor ist diagonalisierbar durch die orthogonale Transformation R0SO(3):


J¯¯´=R0J¯¯R0T=(J1000J2000J3)


Das heißt: Es existiert ein gedrehtes, körperfestes Koordinatensystem (y1,y2,y3) in Richtung der Hauptträgheitsachsen:


J¯¯´=d3yρ(y¯)(y22+y32000y32+y12000y12+y22)


Also: Ji0 i=1,..,3, Matrix positiv semidefinit.

Die Diagonalisierung führt auf das Eigenwertproblem:


J¯¯w¯^(i)=Jiw¯^(i) mit Eigenvektoren w¯^(i) und Eigenwerten Ji. Ein homogenes, lineares Gleichungssystem

Ziel ist es nun, die Hauptachsenrichtung w¯^(i) so zu suchen, dass J¯¯ diagonal wird:


det(J¯¯Ji1)=0


Somit ergeben sich 3 reelle, positiv semidefinite Eigenwerte Ji

Das Trägheitsmoment

Trägheitsmoment bezüglich Achse n¯:J(n¯):=n¯J¯¯n¯

Diese quadratische Form ist positiv semidefinit.


ω¯=n¯ωT=12ω2J(n¯)


Trägheitsellipsoid

Die Normierung des Trägheitsmomentes liefert eine Ellipsoidgleichung: n¯J¯¯n¯=1 .

Die Lage des Ellipsoids sind ist durch die Eigenvektoren w¯^(i) , die Maße folgen aus den Ji derart, dass die zu w¯^(i) gehörige Achse die Länge 1Ji trägt:

  1. Die Ji heißen Hauptträgheitsmomente ( Trägheitsmomente entlang der Eigenvektoren= Hauptachsen)

Es gilt:


J1J2J3

unsymmetrischer Kreisel


J1=J2J3

symmetrischer Kreisel ( axialsymmetrisch)


J1=J2=J3 kugelsymmetrischer Kreisel ( nicht notwendigerweise Kugelform)

Satz von Steiner

Sei Jmn

der Trägheitstensor in einem körperfesten System 

K¯ , welches im Schwerpunkt S zentriert ist. Sei nun K¯´ ein zu K¯

achsparalleles, um den Vektor 

a¯ verschobenes System. Dann ist Jmn´ in K¯´

gegeben durch


Jmn´=Jmn+M[a2δmnaman]


Die beiden Koordinatensystem dürfen dabei nur durch die Translation um a¯ unterschiedlich sein. Wesentlich ist vor allem, dass bei roationsvarianten Systemen keine Verdrehung der Achsen erfolgt !

Beweis:


Jmn´=d3x´ρ´(x¯´)[(txt´2)δmnxm´xn´]


Bei uns: x¯´=x¯+a¯


Jmn´=d3xρ(x¯)[(t(xt+at)2)δmn(xm+am)(xn+an)]Jmn´=d3xρ(x¯)[(t[(xt)2+2(atxt)+at2])δmnxmxnxmanxnamaman]d3xρ(x¯)t(atxt)=d3xρ(x¯)(xman+xnam)=0wegend3xρ(x¯)x¯=0


Somit:


Jmn´=d3xρ(x¯)[(t(xt2+at2))δmnxmxnaman]Jmn´=Jmn+d3xρ(x¯)[(t(at2))δmnaman]=Jmn+M[a2δmnaman]


Speziell im Hauptachsensystem:

keine Außerdiagonalelemente: m=n:=i


Ji´=Ji+M(a2ai2)i=1,..,3


mit (a2ai2) als Quadrat des Abstandes der beiden Drehachsen.

Dabei wird bei einer Verschiebung um a¯ nur der Abstand der Drehachsen berücksichtigt. das heißt, die Komponente der Verschiebung in Richtung der Drehachse wird wieder quadratisch subtrahiert:


Beispiele

1. Kugelsymmetrische Massendichte:


ρ(x¯)=ρ(r)J1=J2=J3=:J3J=J1+J2+J3=d3xρ(r)[(x22+x32)+(x12+x32)+(x12+x22)]=d3xρ(r)2r23J=24π0Rdrr4ρ(r)


Bei homogener Massenverteilung:


M=4π3R3 bezüglich Schwerpunkt S

folgt:


J=83π0Rdrr4ρ(r)=2MR30Rdrr4J=25MR2


2. Abrollende Kugel: Momentaner Auflagepunkt ist A

Das Trägheitsmoment bezüglich der momentanen Drehachse durch den Auflagepunkt A:


JA=J+MR2=25MR2+MR2=75MR2


Drehimpuls und Bewegungsgleichungen

Drehimpuls

  1. diskret:

l¯=i=1nmir¯i×r¯˙i=i=1nmi(r¯S+x¯(i))×(V¯+ω¯×x¯(i))l¯=i=1nmi(r¯S×V¯)+i=1nmix¯(i)×V¯+r¯S×(ω¯×imix¯(i))+imix¯(i)×(ω¯×x¯(i))i=1nmix¯(i)×V¯=i=1nmi(x¯(i))=0l¯=i=1nmi(r¯S×V¯)+imix¯(i)×(ω¯×x¯(i))=M(r¯S×V¯)+imix¯(i)×(ω¯×x¯(i))


Mit


M(r¯S×V¯)

als Schwerpunktsdrehimpuls


imix¯(i)×(ω¯×x¯(i))

als Relativdrehimpuls
  1. kontinuierliche Situation


l¯=r¯s×MV¯+d3xρ(x¯)x¯×(ω¯×x¯)L¯=d3xρ(x¯)x¯×(ω¯×x¯)=d3xρ(x¯)[x2ω¯(x¯ω¯)x¯]


Also:


L¯=J¯¯ω¯


Dies sieht man an der Komponentenschreibweise:


Lm=n=13d3xρ(x¯)[x2δmnxmxn]ωn=n=13Jmnωn


Nebenbemerkung:

Im Allgemeinen ist L¯ nicht parallel zu ω¯ , nur falls ω¯ in Richtung der Hauptträgheitsachse liegt !

Allgemeine Bewegungsgleichung für den Gesamtdrehimpuls

ddtl¯=ir¯i×F¯i . Dabei sind F¯i äußere, eingeprägte Kräfte. Die resultierende Kraft F¯(r¯S)=iF¯i soll auf den Schwerpunkt wirken, so dass gilt:


iF¯imi=F¯(r¯S)M


Somit:


ddtl¯=imir¯i×F¯imi=r¯S×F¯(r¯S)


Bekanntlich gilt für die Schwerpunktsbewegung:


Mr¯¨S=F¯(r¯S) (Newton)


ddtl¯=ddt(r¯s×MV¯+d3xρ(x¯)x¯×(ω¯×x¯))=ddt(r¯s×Mr¯˙s)+ddtL¯=Mr¯˙s×r¯˙s+r¯S×Mr¯¨S+ddtL¯


Mr¯˙s×r¯˙s=0r¯S×Mr¯¨S=r¯S×F¯(r¯S)


ddtl¯=r¯S×F¯(r¯S)+ddtL¯


Gleichzeitig gilt: ddtl¯=imir¯i×F¯imi=r¯S×F¯(r¯S)


Somit:


ddtL¯=0

Der Relativdrehimpuls ist im Schwerpunktsystem mit raumfesten Achsen konstant.

Also: Es verschwindet die Zeitableitung des relativdrehimpulses im Schwerpunktsystem mit RAUMFESTEN Achsen .

Die Transformation muss nun noch ins körperfeste, rotatorisch mitbewegte System K¯ erfolgen:

Dabei sieht der Beobachter im RAUMFESTEN System neben der zeitlichen Änderung (ddt)´ , die im mitbewegten System ebenfalls stattfindet noch die Rotation des mitbewegten Systems überlagert.

Also:


(ddt)=(ddt)´+ω¯×


Somit gilt für das körperfeste System K¯


L¯˙+ω¯×L¯=0(ddt)´L¯+ω¯×L¯=0


Mit L¯=J¯¯ω¯ folgt im körperfesten System,wo gilt: J¯¯˙ =0


J¯¯ω¯˙+ω¯×J¯¯ω¯=0


Dies ist eine nichtlineare DGL in ω¯

Im Schwerpunktsystem ergeben sich die EULERSCHEN Gleichungen für den kräftefreien Kreisel, falls J¯¯ diagonal ( Hauptträgheitsachsensystem):


J1ω˙1=(J2J3)ω2ω3J2ω˙2=(J3J1)ω3ω1J3ω˙3=(J1J2)ω1ω2


Beispiel: Symmetrischer Kreisel: J1=J2JJ3


ω˙3=0 , also ω3=const im mitrotierenden System


Jω˙1=(JJ3)ω2ω3ω¨1=(JJ3)Jω˙2ω3=[(JJ3)Jω3]2ω1


Diese Gleichung kann zweimal integriert werden. Mit den Integrationskonstanten


ω,ϕ0 und der Zusammenfassung ω0:=(JJ3)Jω3


folgt:


ω1=ωcos(ω0t+ϕ0)


Dies kann in


Jω˙1=(JJ3)ω2ω3 eingesetzt werden und es ergibt sich:


ω2=ωsin(ω0t+ϕ0)


Die Definitionen sind an folgender Figur ersichtlich:

Dabei ist x3 die Figurenachse ( Achse durch die Drehachse von J3)

Es gilt:


ω1(t)2+ω2(t)2=ω2=const


ω1(t)2+ω2(t)2+ω3(t)2=ω2+ω3(t)2=const


Das heißt


ω¯ und damit auch L¯ mit Li=Jiωi

rotieren um die Figurenachse 

f¯||x3


Veranschaulicht man diese Situation im Schwerpunktsystem mit raumfesten Achsen, so gilt mit ddtL¯=0L¯fest


ω¯ und f¯ präzedieren um die raumfeste Achse L¯ . Dabei müssen ω¯ , f¯ und L¯ stets in einer Ebene liegen.

Anwendung:

Erde als abgeplattetes Rotationsellipsoid:


(JJ3)J13002πω3=1Tag


Damit kann die Präzessionsperiode leicht berechnet werden:


T=2πω0=2πJω3(JJ3)=J(JJ3)1Tag=300Tage


Die Erde präzediert also einmal in 300 Tagen um ihre eigene Achse!